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Chronologie der umstrittenen Kreditvergaberegeln – kurz: KIM-VO


Laut dem KSV 1870 wurden während der ersten drei Quartale des Vorjahres 44.628 Hypothekarkredite gewährt. Das bedeutet ein Minus von 50,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022.

Lang: Verordnung für nachhaltige Vergabestandards bei der Finanzierung von Wohnimmobilien. Kurz: KIM-VO. Gewiss: Die seit 1. August 2022 in Österreich geltenden Vergabestandards sorgen für Zündstoff.


Man schrieb den 1. März 2022, als das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) seine 31. Sitzung abhielt. Welche Auswirkungen der Termin auf die heimische Immobilienbranche haben würde, hatte sich nicht abgezeichnet – zumindest nicht in der Dramatik, die aktuell Status ist. Das FMSG hatte bereits in seinen vorangehenden Sitzungen festgehalten, dass sich die systemischen Risiken aus Wohnimmobilienfinanzierungen in der letzten Zeit kontinuierlich vergrößert und sich in letzten beiden Jahren deutlich beschleunigt hatten. Zwar war die Gefahrenlage in diesem Segment in etlichen Ländern des Euroraums gestiegen, allerdings waren die Entwicklungen hierzulande als besonders auffällig hervorgestochen. Daher hatte der Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB) Österreich am 11. Februar 2022 empfohlen, kreditnehmerbezogene Maßnahmen zu ergreifen, um den Aufbau der systemischen Risiken aus Wohnimmobilienfinanzierungen hintanzuhalten. Auch die OECD und der Internationale Währungsfonds hatten entsprechende Maßnahmen für die Alpenrepublik angeregt.

Quasi dem Dienstweg folgend, richtete also das FMSG an besagtem 1. März 2022 der Finanzmarktaufsicht (FMA) Österreich aus, was zu tun ist. Eine maximale Beleihungsquote in der Höhe von 90 Prozent, eine Schuldendienstquote in der Höhe von 40 Prozent sowie eine Laufzeitbeschränkung von 35 Jahren sei zu verordnen. Ein Ausnahmekontingent von insgesamt 20 Prozent soll den Banken ausreichend Flexibilität gewährleisten. Primäres Ziel dieser Maßnahmen ist wie erwähnt die präventive Adressierung von im Aufbau befindlichen systemischen Risiken und damit die Mitigierung von Verlusten aus dem Kreditgeschäft. Zudem sollen die Regeln Kreditnehmer vor den Konsequenzen einer Überschuldung schützen. Sie sollen die exzessiven Aspekte der Immobilienkreditvergabe, wie zu geringe Besicherung, zu hoher Schuldendienst und zu lange Laufzeiten, reduzieren. Österreich blieb während der letzten Dekaden von einer Immobilienkrise verschont. Die empfohlenen Maßnahmen sollten einen Beitrag dazu leisten, dass das andauert.


Eckpunkte des neuen Vergabestandards
In weiterer Folge gab die FMA am 20. Juni 2022 bekannt, die „Verordnung für nachhaltige Vergabestandards bei der Finanzierung von Wohnimmobilien“ – kurz: KIM-VO – zu erlassen. Diese, die den Empfehlungen des FMSG folgt, ist seit 1. August 2022 rechtlich verbindlich bei neu vereinbarten privaten Wohnimmobilienfinanzierungen anzuwenden.

Welche Eckpunkte umfasst die KIM-VO konkret?

  • Eine maximale Beleihungsquote von 90 Prozent (Ausnahmekontingent: 20 Prozent).
  • Eine Schuldendienstquote von maximal 40 Prozent (Ausnahmekontingent: 10 Prozent).
  • Eine Laufzeit von maximal 35 Jahren (Ausnahmekontingent: 5 Prozent).
  • Insgesamt dürfen aber bei einem Kreditinstitut maximal 20 Prozent aller Kredite eine der Obergrenzen überschreiten.
  • Um Renovierungen und Sanierungen – insbesondere den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger – zu erleichtern, sind Finanzierungen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze von Euro 50.000 von diesen Vorgaben ausgenommen.


Umgehende Rufe nach Lockerung
Die heimische Immobilienwirtschaft zeigte sich prompt alarmiert. Im Dezember 2022 legte die Fachgruppe Wien der Immobilien- und Vermögenstreuhänder erstmals Zahlen vor. Demnach gingen die Transaktionen von Wohnraum in Österreich von August bis Oktober 2021 von 21.000 im Vergleichszeitraum 2022 auf 9.000 Einheiten zurück. Es wurde für eine Lockerung der KIM-VO plädiert. Allen voran sollte die Schuldendienstquote von 40 Prozent auf 60 Prozent angehoben werden. So sei das etwa im benachbarten Deutschland die Regel.

Auch beispielsweise der Österreichische Haus- und Grundbesitzerbund (ÖGHB) sprach sich Ende 2022 für eine Evaluierung der KIM-VO aus. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass junge Menschen weiterhin ein Einfamilienhaus oder eine Eigentumswohnung erwerben können. Die Erhöhung der Eigentumsquote ist eine wirtschaftliche, aber auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Leistbare Kredite und Wohnbauförderprogramme sind – wie auch schon in der Vergangenheit mehrfach bewiesen – das beste Mittel dafür“, argumentierte ÖHGB-Präsident Martin Prunbauer.


Zwischenfinanzierungen erleichtert
Die Lockerungsrufe führten zu einem Teilerfolg. So traten am 1. April 2023 bei der KIM-VO Erleichterungen in Kraft. Seither werden Zwischenfinanzierungen bis zu einem Wert von 80 Prozent der bestehenden Immobilie berücksichtigt, und zwar für die Dauer von zwei Jahren. Das wird als ausreichend langer Zeitraum angesehen, um es einer Familie mit bestehender Liegenschaft zu ermöglichen, "ein (neues) Eigenheim zu errichten oder zu renovieren und zu beziehen", wie es in den Erläuterungen heißt. Eine weitere Neuerung betrifft die Geringfügigkeitsgrenze von Euro 50.000. Sie gilt seit dem 1. April 2023 auch für Ehegatten, eingetragene Partner sowie Lebensgemeinschaften – sprich pro Kreditnehmer –, weswegen sie sich auf Euro 100.000 verdoppeln kann.

„Besser als nichts“, möchte man diese Erleichterungen kommentieren. Denn Fakt ist, dass „die KIM-VO die Vergabe von Hypothekarkrediten abwürgte“, wie es der Kreditschutzverband (KSV) 1870 auf Basis einer Analyse in einer Presseaussendung am 9. November 2023 formulierte. Der Traum vom Eigenheim sei damit für viele Menschen in Österreich vorerst ausgeträumt – auch wegen der gestiegenen Zinsen und der gepfefferten Inflation. Zu den Ergebnissen der Analyse: Während der ersten drei Quartale des Vorjahres wurden 44.628 Hypothekarkredite gewährt, was gegenüber 2022 ein Minus von 50,6 Prozent bedeutet. Am deutlichsten fiel der Einbruch in Wien (57,6 Prozent) aus, gefolgt von Tirol (52,2 Prozent) und Vorarlberg (51,8 Prozent), am geringsten in Kärnten mit 46,7 Prozent. Die gewährten Hypothekarkredite zeigen sich in sämtlichen Altersgruppen stark rückläufig. Besonders betroffen ist die für die Schaffung eines neuen Eigenheims relevante Gruppe der bis 35-Jährigen. Hier fällt das Minus mit 57 Prozent am gravierendsten aus. Parallel dazu sank das generelle Finanzierungsvolumen im Schnitt um 7 Prozent auf Euro 196.000.


Nicht ausgeschöpfte Ausnahmekontingente
Möglicherweise auch aufgrund dieser vom KSV 1870 vorgelegten Zahlen verdichteten sich Ende letzten Jahres die Zeichen, dass die KIM-VO bald eine neuerliche Lockerung erfährt. Doch die Zeichen trogen. Das FMSG begründete das Nein am 11. Dezember 2023 damit, dass durch die Verordnung „eine nachhaltige Immobilienkreditvergabe durch den österreichischen Bankenmarkt sichergestellt wird. Dies spiegelt sich in einer deutlichen Verbesserung der Vergabestandards wider. Der hohe Anteil variabler Kredite gibt Anlass zu Sorge. Die Kreditnehmer tragen bei den langen Laufzeiten von Immobilienkrediten ein Zinsrisiko, das im Fall einer Manifestation zu Problemen bei der Kreditrückzahlung führen kann.“ Darüber hinaus verwies das FMSG darauf, dass im ersten Halbjahr 2023 Ausnahmekontingente in der Höhe von rund 650 Millionen Euro nicht ausgeschöpft wurden. Dreiviertel der Banken nutzten weniger als 80 Prozent ihrer besagten Kontingente aus, die Hälfte der Banken sogar weniger als 50 Prozent.

Wie brisant die Materie ist, zeigt der Sachverhalt, dass es im noch jungen, neuen Jahr schon News gab. Sie kamen vom Verfassungsgerichtshof (VfGH), der am 3. Jänner 2024 verlautbarte, die Behandlung eines Antrags, der sich gegen die KIM-VO richtete, mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt zu haben. Eingebracht hatte den Antrag ein Vorarlberger, der beabsichtigte, eine Wohnung zu kaufen, und dessen Kreditantrag abgelehnt wurde. Gegenüber dem VfGH brachte er vor, die KIM-VO der FMA sei gesetzwidrig, weil keine systemischen Risiken aus Fremdkapitalfinanzierungen von Immobilien mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität vorlägen und damit eine im Bankwesengesetz genannte Voraussetzung für eine Verordnung nicht – mehr – gegeben sei.



       
Fazit

Am 30. Juni 2025 tritt die KIM-VO gesetzmäßig außer Kraft. Doch angesichts der Tatsache, dass in Österreich heuer diverse Wahlen stattfinden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass davor Lockerungen erfolgen. Der dahingehende politische Druck ist enorm.


Zur Autorin

Claudia Aigner ist Chefredakteurin der „Österreichischen Immobilien Zeitung“ (OIZ). Seit 1998 ist die gebürtige Oberösterreicherin im Fachjournalismus tätig; konkret für Magazine im Bereich Werbung, Tourismus, Telekommunikation sowie Industrie. Nach einem „Abstecher“, der sie in die PR führte, bereitet sie seit elf Jahren Immobilienthemen – quer durch alle Assetklassen – redaktionell auf.