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Der Umgang mit Konflikten in der Immobilienbewertung


Foto „Eisberg“: Der Eisberg als Symbol für die zwischenmenschliche Kommunikation: Nur zwanzig Prozent sind sichtbar. Der Großteil – Gefühle, Wertvorstellungen etc. – liegt unter der bewussten Wahrnehmungsfläche, wo Konflikte ungehindert quellen können.
Credit: unsplash

Für den einen Auftraggeber kann der Wert am Ende des Gutachtens nicht hoch genug ausfallen, für den anderen nicht niedrig genug. Nicht nur deswegen sind Konflikte bei der Immobilienbewertung programmiert. 


Der 14. April 1912 ging in die Geschichte ein. Innerhalb von zwei Stunden und vierzig Minuten versank die Titanic damals südöstlich vor Neufundland im Atlantik. Von den rund 2200 Menschen an Bord kamen etwa 1500 ums Leben. Grund für die Katastrophe war die Kollision mit einem Eisberg.

Spätestens seit dem Untergang der Titanic gelten Eisberge als negativ konnotiert. Mittlerweile kommen sie als Kommunikationsmodell zum Einsatz. Denn von einem Eisberg befinden sich nur etwa zwanzig Prozent oberhalb des Wassers, die restlichen achtzig Prozent liegen unsichtbar unterhalb. Genauso verhält es sich bei der menschlichen Kommunikation: Zwanzig Prozent macht die bewusste Sachebene aus. Das sind sämtliche Fakten und Informationen, die man einem Gesprächspartner durch Worte mitteilt. Achtzig Prozent stellt jedoch die unbewusste, unsichtbare Beziehungsebene dar. Dazu gehören Gefühle, Wertvorstellungen sowie Motivationen. Sie können durch Mimik, Gestik und Tonfall angedeutet werden, aber das Gegenüber kann nie all diese persönlichen Hintergründe erfassen. Gleichzeitig beeinflussen sie natürlich die Kommunikation – und sorgen für Konflikte.


Drei Konfliktphasen
Es ist unerlässlich, dass vor allem Liegenschaftsbewerter das Eisbergmodell bei ihrer Arbeit vor Augen haben. Idealerweise verfügen sie über fundierte Kenntnisse in Sachen Mediation; doch dazu später mehr.

Denn, dass es während der diversen Phasen der Liegenschaftsbewertung zu Konflikten kommen kann, liegt auf der Hand. Konkret bilden erstens die Vorbereitung, zweitens die Bearbeitung sowie schließlich drittens der Abschluss des Gutachtens die Minenfelder.



Unterschätzte Vorbereitung
Vor dem Hintergrund der Konfliktprävention sollte auf die Vorbereitungsphase ein größerer Fokus gelegt werden. Auch und gerade weil während dieser Phase noch kein Honorar fließt. Es gilt, vor der Angebotserstellung – um das Eisberg-Kommunikationsmodell zu strapazieren – detektivisch unter die Wasseroberfläche zu blicken. Obwohl es Mehrarbeit bedeutet, macht es sich im wahrsten Sinn des Wortes bezahlt, für mögliche Reibungspunkte sensibilisiert zu sein. Liegenschaftsbewerter sollten versuchen, Fragen und Probleme in einem persönlichen Gespräch in der Sachebene aufzuwerfen. Besonderen Zündstoff bergen beispielsweise Nutzwerkgutachten privater Wohnimmobilien. Sich für die Konfliktprävention abzeichnender Zusatzaufwand muss thematisiert und als Leistung eingepreist werden. Schlimmstenfalls die Lage ist so verzwickt, dass die Entscheidung fällt, bereits während der Vorbereitung einen Mediator ins Boot zu holen; zur Mediation wie erwähnt später mehr.

Selbstredend muss nicht jede Anfrage in einen Auftrag münden. Vielmehr ist es professionell, von einer Anfrage Abstand zu nehmen, wenn sich keine Lösung abzeichnet.


Während der Bearbeitung...
Nach einer erfolgreich absolvierten Vorbereitung flattert hoffentlich der Auftrag ins Haus. Es folgt die Bearbeitungsphase, während der noch immer die Möglichkeit der Konfliktprävention besteht. Primär schlägt nun aber die Stunde der Konfliktlösung. Das A & O – so banal das klingt – ist, dass der Liegenschaftsbewerter seine Arbeit ordentlich erledigt. Stichworte: Vollständigkeit des Befundes, Anführung sämtlicher Unterlagen, Nachvollziehbarkeit der Bewertungsparameter, plausible Darstellung der Ergebnisse etc. Auf diese Art kann man etlichen Fragen vorbeugen; auch in Gerichtsprozessen. Dass der Bewerter bei der Erstellung des Gutachtens objektiv, unparteilich sowie unabhängig bleibt, versteht sich von selbst.

Während der Bearbeitung proaktiv zu kommunizieren, ist Pflicht. Dazu gehört eine etwaige Gebührenwarnung. Manchmal ist es die beste Lösung, einen Auftrag abzubrechen. Wenn der Kunde beispielsweise absolut unrealistische Erwartungen an das Ergebnis stellt, ist es sinnvoller, beizeiten die Reißleine zu ziehen, anstatt das Gutachten fertigzustellen und das volle Honorar zu verrechnen. Nach einer solchen „Trennung im Guten“ besteht die Chance, dass der Kunde wieder anklopft.



Der Abschluss des Gutachtens
Schließlich ist das Gutachten fertig und soll dem Kunden präsentiert werden. Damit in dieser letzten Phase alles wie am Schnürchen läuft, müssen die Vorbereitung sowie die Bearbeitung korrekt verlaufen sein. Trifft das zu – sprich, das Gutachten wurde gut und ordentlich erstellt –, dann ist man als Liegenschaftsbewerter für mögliche Einwände und Fragen gerüstet.

Es empfiehlt sich, für die Präsentation des Gutachtens genügend Zeit einzuplanen. Gerade private Auftraggeber meinen oftmals, die schönste Immobilie weit und breit zu besitzen. Für eine negative, jedoch in einem Sachwertverfahren übliche Marktanpassung werden sie wenig Verständnis aufbringen. Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs kann hier auf der Sachebene Aufklärungsarbeit geleistet und es können Fragen beantwortet werden. Selbstverständlich bleibt man als Liegenschaftsbewerter auch während dieser Abschlussphase objektiv, unparteilich und unabhängig.



Eine Lanze für die Mediation
Die Sachverständigenausbildung, die Liegenschaftsbewerter in Österreich durchlaufen, konzentriert sich auf Zahlen, Daten und Fakten. Zweifelsohne wird fundiertes Fachwissen vermittelt. Dabei kommt jedoch die Beziehung zu den Kunden samt der sie einschließenden Problemfelder zu kurz. In einigen anderen europäischen Ländern zählt Mediation – und damit Kenntnisse punkto Konfliktprävention sowie -lösung – längst zur Pflichtkompetenz von Liegenschaftsbewertern. Mediation stammt aus dem Land der Unbegrenzten Möglichkeiten. Es handelt sich um ein außergerichtliches Verfahren, das in den USA Ende der 1940er Jahre erstmals als Schlichtungsmethode bei Arbeitskämpfen zum Einsatz kam. Das Verfahren wurde perfektioniert, verbreitete sich weltweit und wird mittlerweile in etlichen Bereichen genutzt; klassisch in der Familien-, Trennungs- und Scheidungsmediation.

Aber auch bei Wirtschaftsstreitigkeiten und damit im Immobiliensektor schätzt man die Kommunikationstechnik mehr und mehr. Die Hoffnung, dass Mediation konkret bei der Liegenschaftsbewertung hierzulande einen Schub versetzt bekommt, lebt. Auf dass die achtzig unsichtbaren Prozent des Eisbergs bei der Erstellung von Gutachten künftig weniger Konflikte verursachen.




       
Fazit

  • Vor dem Hintergrund der Konfliktprävention und -lösung ist es das A & O, dass der Liegenschaftsbewerter seine Arbeit mit größter Sorgfalt erledigt.
  • Das setzt voraus, dass er bei der Erstellung eines jeden Gutachtens objektiv, unparteilich
    und unabhängig bleibt.
  • Als Liegenschaftsbewerter gilt es, sich von den Erwartungen des Kunden nicht
    beeinflussen zu lassen.
  • Nicht jede Anfrage muss in einen Auftrag münden.
  • Gelegentlich macht es Sinn, einen Auftrag während der Bearbeitungsphase abzubrechen.
  • Es empfiehlt sich, für die persönliche Präsentation des fertigen Gutachtens genügend Zeit einzuplanen.
  • Kompetenzen in Sachen Mediation lohnen sich in jedem Fall.


Videokurs zum Thema
Details und weiterführende Informationen erläutert Referentin Anna Geher, Abteilungsleiterin Immobilienbewertung bei Otto Immobilien, im Video-Kurs: „Der Umgang mit Konflikten in der Immobilienbewertung: Denkanstöße und Lösungsansätze“




Zur Autorin

Claudia Aigner ist Chefredakteurin der „Österreichischen Immobilien Zeitung“ (OIZ). Seit 1998 ist die gebürtige Oberösterreicherin im Fachjournalismus tätig; konkret für Magazine im Bereich Werbung, Tourismus, Telekommunikation sowie Industrie. Nach einem „Abstecher“, der sie in die PR führte, bereitet sie seit elf Jahren Immobilienthemen – quer durch alle Assetklassen – redaktionell auf.